Popper und die Annäherung an die Wahrheit

von Andrea:

Popper sagt: „Die einzige Weisheit, die zu erwerben ich hoffen konnte, war das sokratische Wissen von der Unendlichkeit meines Nichtwissens.“ Das Wissen um die Unverlässlichkeit von Erfahrungen lassen ihn scheinbar an den bisherigen Methoden und Utopien zweifeln.  Dennoch hält er erstaunlicherweise an der Idee der absoluten Wahrheit fest.

Unterschiede in verschiedenen Auffassungen haben nach seiner Vorstellung unterschiedliche Wahrheitsnähe. Auch wenn Meinungen falsch sind, können sie dennoch mehr oder weniger gut mit der Wahrheit übereinstimmen. So soll die Lösung eines Problems zunächst vorläufig gefunden werden, sie wird wieder verworfen, wenn sie falsifiiziert werden kann. So nähern sich schließlich die Lösungsansätze immer mehr der Wahrheit an.

Ich frage mich:

– Wie kann man aber feststellen, dass eine Theorie der Wahrheit näher kommt oder nicht, wenn man nicht eine genaue Vorstellung von der Wahrheit hat?

– Und wie kann eine Lösung falsifiziert werden, wenn es keine übergeordneten Normen gibt, anhand derer die Theorien beurteilt werden können? Welche Kriterien soll es dafür geben?

– Welches Argument kann gegen eine vorläufig gefundene Lösung vorgebracht werden, wenn es keinen Maßstab gibt, an dem die Lösung gemessen werden kann?

– Entscheidendes Kriterium für die Wahrheit ist nach Popper die Korrespondenz mit den Fakten. Aber wie läßt sich diese Übereinstimmung feststellen, woran kann man dies ausmachen?

Thomas Kuhn (http://www.claus-beisbart.de/teaching/wi2011/popper/p12.pdf )kritisiert die Vorstellung Poppers von der Fehlerelimination. Denn Fehler gebe es nur, wo es klar definierte Regel gebe,  also  unter  dem  Dach  eines  Paradigmas,  d.h.  in  der  Normalwissenschaft. Das heißt, ein Fehler wird im allgemeinen, also in der Normalwissenschaft (das ist die Phase zwischen zwei Revolutionen) lediglich innerhalb eines Paradigmas korrigiert werden. Dadurch entsteht aber keine Annäherung an „die“ Wahrheit, sondern lediglich eine bessere Vereinbarkeit mit den Regeln des Paradigmas.

Das Paradima ist aber keine ´“ewige Wahrheit“ sondern die von der Wissenschaft mittels ihrer Definitionsmacht erzeugte Wahrheit.

Kuhn verweist auch darauf, dass Theorien stets durch gedankliche Spekulationen gewonnen werden. In dieser Hinsicht sind aber Beobachtungen, die eine Theorie (angeblich) zu Fall bringen sollen, ebenfalls theorieabhängig.  Ohne Theorie ‚im Hinterkopf‘ können überhaupt keine Beobachtungen gemacht werde

Nach Popper kann zum Beispiel die Theorie, alle Schwäne seien weiß, widerlegt werden, indem ein schwarzer Schwan entdeckt wird. Um den neuen Vogel als Schwan zu klassifizieren muß der Beobachter aber schon eine Theorie im Kopf haben. Erst dann kann die Beobachtung des schwarzen Vogels zur Falsifikation herangezogen werden.

Außerdem kann auch eine falsifizierte Theorie rehabilitiert werden, zB indem man nachweist, daß jener schwarze Vogel gar kein Schwan ist.

Mir fällt es schwer, die Theorie der – ich nenne es mal – Wahrheitsannäherung nachzuvollziehen. Fällt Popper damit nicht philosophisch sogar in die Zeit vor Nietzsche zurück? Nietzsche mißtraute der wissenschaftlichen Erkenntnis:Was sind denn zuletzt die Wahrheiten des Menschen? – Es sind die unwiderlegbaren Irrtümer des Menschen.“ sagt dieser in der fröhliche Wissenschaft, also keine Falsifikation der Irrtümer möglich.

Mir fällt Nietzsches Vorstellung von der Figur des Sokrates in der „Geburt der Tragödie“ ein. Die alten Griechen waren laut Nietzsche in der Lage, dem Entsetzen ohne metaphysischen Trost in die Augen zu schauen und das Leben trotzdem zu genießen .

Dann kommt Sokrates und das tragische Zeitalter ist vorbei,  es beginnt der Optimismus in Bezug auf das Wissen und die  Erkenntnis. Sokrates glaubt daran, mit Hilfe der Erkenntnis das Dasein korrigieren und damit verbessern zu können. Popper fühlt sich Sokraktes verwandt , möglicherweise ist für ihn wie für Sokrates  die Erkenntnis eine Medizin gegen das Entsetzliche und Absurde des Seins.  Vielleicht suchen die beiden nicht die Wahrheit sondern Sicherheit vor dem Grauen des horror vacui.

Mir gefällt trotzdem an Popper, dass er für Toleranz plädiert und auch dafür, immer wieder offen zu sein, eigene Fehler zu finden und zu korrigieren, auch wenn ihm die Toleranz in Bezug auf andere Philosophen (wie Hegel und Marx) schwer fällt.

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